Defi des Seigneurs - laufkultur.de

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Start ins Jubiläumsrennen
Es ist kalt und bewölkt. Ich entscheide mich morgens für knielange Hosen und ein langes Shirt über dem Firstlayer. Später lege ich noch ein kurzes Hamd darüber, eine weise Entscheidung. Denn es wird den ganzen Tag kalt bleiben, meine Nase immer eisig sein. Freunde begrüßen und die Kamera von Erwin in Empfang nehmen. Ich habe meine dummerweise vergessen und er kann mir mit Ersatz aushelfen. Dann gehts raus auf den Sportplatz, es ist Zeit zum starten. Gemeinsam mit Lauffreund Erwin mache ich mich auf den Weg. Wir wollen es erst mal etwas langsamer angehen lassen. Immerhin steht auch morgen noch ein Start für uns auf dem Programm.

Das Ultra-Habicht'sche Integral besagt:

∫ = Défi des Seigneurs langsamer als im Vorjahr + gesparte Energie in Grand Défi investieren = erfolgreiches Finish

Doch Integration war noch nie meine Stärke. Wir fühlen uns gut! Es läuft! Wir lassen uns mitreissen! Erwin macht beim Downhill Tempo, ich bin am Berg der etwas Stärkere. So ergänzen wir uns und bleiben bis nach der ersten Verpflegungsstelle beisammen. Danach trennen sich unsere Wege; noch bin ich etwas stärker als Erwin, deshalb wird er sich heute mit der Funktion der Partiellen Integration zufrieden geben müssen.

Die partielle Integration:
(Wer hätte gedacht, dass ein partielles gemeinsames Lauferlebnis so kompliziert ist?)
Von nun an bin ich auf mich allein gestellt. Im vergangenen Jahr bin ich die ganze Strecke gerannt. Heute will oder muss ich langsamer unterwegs sein, gehe also einige bergige Passagen. An die Strecke erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft, nicht mehr im gesamten Verlauf. Nachdem ich nicht auf meine Uhr sehe, fehlt mir jegliches Zeitgefühl ich kann meine Leistung nicht wirklich einschätzen. Stattdessen konzentriere ich mich auf meinen Weg und die wunderschöne Landschaft. Die traumhaften Sandsteinformationen, an die erinnere ich mich gut, an die schier unendlichen Waldstücke hingegen nur sporadisch. Ich habe nicht mal den Überblick, wann Verpflegungsstellen auf mich warten. So cruise ich fast meditativ durch die Vogesen. Ich lasse mich auch nicht von den quer liegenden Bäumen aus der Ruhe bringen, die wir hin und wieder queren müssen. Die Läufer um mich herum wechseln ständig, einige überhole ich und sehe sie danach nie wieder, andere sind ständig um mich, mal vor, mal hinter mir, auf den langen Geraden gut im Blick, auf den winkligen Trails immer mal wieder enteilt, um dann urplötzlich wieder vor mir aufzutauchen.
Auch stechende Schmerzen in den Zehen links bringen mich nicht aus der Ruhe. Ich nehme 10 Minuten Tempo weg, gehe ein Stück, dann klingen die Schmerzen ab. Ich verliere zwar ein paar Positionen, doch das ist egal. Wichtig ist, dass ich wieder sorgenfrei laufen kann.

Plötzlich bin ich wieder auch wieder im Bilde. Ich erinnere mich. Die beiden Holzbrücken über den Schwarzbach, das schöne Stück am Bach entlang, danach über die Straße in den Ort zur Verpflegung. Von hier aus sind es noch 18 km, dazwischen eine Versorgung auf dem Grand Wintersberg. Damit wird das Rennen für mich wieder überschaubar. Ein Blick auf die Uhr und ich erschrecke: 5:51 Std., damit hätte ich noch 2 Std. und 40 Minuten für das heimlich angepeilte Finish. Das sollte locker zu schaffen sein, vor allem, weil es vom Wintersberg fast nur noch bergab geht. Von einem Adrenalinschub gepuscht, düse ich los. Trotzdem gehe ich die Steigungen nicht zu ambitioniert an, im Gegenteil. Gefühlt wie im Flug bin ich auf dem Wintersberg, naja, ich habe mir satte 80 Minuten für das Teilstück gegönnt. 2 schnelle Becher Flüssiges, nix zum Essen und schon bin ich weiter.

Bereits jetzt weiß ich, dass ich es geschafft habe, schon bin ich mir sicher, meine Erwartungen mehr als erfüllt zu haben. Den schmalen Downhill hinunter nach Niederbronn genieße ich von den Zehen bis in die Haarspitzen. Das leichte Gefälle, die engen Kurven zwischen den Bäumen, noch immer leichtfüßig springe ich über die kleinen Hindernisse. Trailspaß pur. Die lang gezogene Linkskurve zeigt mir, das Ziel ist in greifbarer Nähe. Ein kurzer Gegenhang, ein letzter Blick auf die Uhr. Noch sind keine 8 Stunden seit dem Startschuss vergangen. Hammer! Im vergangenen Jahr war ich 8 Stunden und 6 Minuten unterwegs; ich habe trotz angezogener Handbremse diese Zeit getoppt. Unfassbar...
Die letzten Meter ins Ziel sind unbeschreiblich! Wie konnte mir das passieren? Ins Gefühl der Euphorie schleicht sich ein wenig Panik ein. War ich zu schnell? Bin ich morgen noch mal in der Lage, eine ähnliche Leistung abzurufen? Kann ich überhaupt noch einmal 59 km in Angriff nehmen? Ich zweifle heftig! Noch nie habe ich einen 2-Tages-Ultra absolviert. Entsprechend sorgfältig gehe ich mit mir um, sorge gleich dafür, meine Speicher aufzufüllen, mich massieren zu lassen. Immer wieder horche ich in meinen Körper hinein!
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