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Der Querläufer am Rande des Nervenzusammenbruchs


Der Querläufer

Ob ich urlaubsreif bin? Und ob! Zwischen Rasen mähen und Hecke schneiden, schnell noch einkaufen und den Schriftverkehr am PC erledigen. Online-Banking, eMails checken, danach die Geburtstagsfeier des Sohnes organisieren. Anschließend Spülmaschine ausräumen, die Hausordnung ist zu erledigen und fast hätte ich noch den Apfelsaft vom Discounter vergessen. Also los, bevor er schließt. „Aber naturtrüb!“, klingt es mir noch im Ohr. Eigentlich wollte ich doch einen langen Lauf machen. Wo bleibt da die Zeit für mich? Die Dreifachbelastung zwischen Familie, Arbeit und die Selbstverwirklichung durch das Hobby, ist längst kein Privileg der Frauen. Denn Studien sagen, dass Männer inzwischen eine höhere Belastung haben als Frauen – Haushalt inklusive. Und für mich gibt es ein besonderes Problem: Die Schwierigkeit des Querläufers, „Nein" zu sagen.

Ich bin eine Arbeitsschlampe. Wenn mir jemand ein interessantes Projekt anbietet, dann liege ich hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken. Ich kann einfach nicht „Nein“ sagen. Früher als Kind konnte ich das. Immer wenn ich keine Lust hatte, etwas zu tun, habe ich „Nein“ gesagt. „Nein“ sagen ist eine feine Sache, das weiß jede Frau, die ihren Schönheitsschlaf braucht. Aber statt „Nein“ zu sagen, sage ich immer „Ja“. Sogar wenn ich „Nein“ denke. Bei mir ist sogar die Blutgruppe positiv. Ich sage „Ja“ zum Freund, der mit mir zum Hintertuxer-Dreitäler-Viergipfel-Berglauf fahren will. „Ja“ zum Sondertraining um 22.00 Uhr, weil die 100 km von Biel in der Nacht starten. „Ja“ zum Intervalltraining am Morgen danach, weil meine Läuferfrau für ihren Halbmarathon einen Coach braucht. „Ja“ zum Spezialtraining mit meinem Sohn, weil bald die nächste Fußball-Saison beginnt. „Ja“ zur Steuererklärung, weil sie sonst keiner macht. „Ja“ zu dieser Kolumne, um meine 20 bis 40.000 Leser nicht zu enttäuschen. Und dann, wenn dieser ganze Berg weggeackert ist, dann gehe ich arbeiten.

Diese Verhaltensstörung sitzt anscheinend tief. Vor dem klingelnden Telefon sage ich dreimal „Nein“, bevor ich den Hörer abnehme. Danach doch wieder „Ja“. Die Generation Dreifachbelastung hat es nicht leicht. Eine amerikanische Studie sagt: Männer, die im Haushalt mithelfen, bekommen mehr Sex von ihrer Frau. Da Männer bekanntlich von Sex nie genug bekommen können, ist die Verteilung der Arbeit laut der Zeitbudget-Erhebung des Statistischen Bundesamtes gekippt. Der Mann arbeitet tatsächlich mehr als die Frau. Nämlich seine reguläre Arbeit plus vorher Frühstück machen, Sohn in die Schule bringen, Ölwechsel und am Abend noch die Küche aufräumen und Steuern. Wo bleibt da die Zeit für´s Laufen?

Das ist meist gerade so mit "Ach und Krach" zu schaffen. Aber ein Mann ist kein Mann, wenn er nicht ein zeit- und energieaufwändiges Hobby hat. Er läuft stundenlang durch die Gegend, sammelt Dinge, die andere weggeworfen haben, oder baut ein Gartenhaus nebenher. Und dann wird es wirklich eng mit den 24 Stunden, die ein Tag hat. Der Rennsteiglauf 2011 war mein sechster Ultramarathon. Nachdem ich ihn geschafft hatte, bin ich statt zur Arbeit wegen der Rückenschmerzen zum Orthopäden gegangen. Dann schickte mich der Orthopäde zu einem Allgemeinmediziner. Der checkte mich vom Kopf bis Fuß durch, um die Wurzel dieser seltsamen bleiernen Müdigkeit zu finden. Dann schickte er mich zu einem Internisten und was der machte, dass wollt ihr nicht wissen. Der Internist wiederum hat mich zu einem Coach geschickt, der eigentlich ein Psychologe ist. Aber das sage ich nicht so gerne öffentlich, weil sonst alle denken, dass ich irre bin. Dabei kann ich nur nicht „Nein“ sagen.

Na ja, ein bisschen irre bin ich schon. Würde ich sonst für den Laufsport die ganzen Strapazen auf mich nehmen? Auf jeden Fall irre ist, dass es Menschen wie meinen Coach gibt. Er bekommt eine Stange Geld. Nur um dem Querläufer am Rande des Nervenzusammenbruchs beizubringen, „Nein“ zu sagen. „Schreiben Sie doch einfach mal auf, welche Projekte sie gerade machen, die Ihnen nichts bringen. Und dann überlegen Sie mal, wie sie diese Arbeit verhindern können“, gibt er mir als Hausaufgabe mit. Zuerst starre ich auf das weiße Blatt. Ich mache doch alle meine Sachen aus einem guten Grund. Manche bringen Geld. Manche Ruhm. Manche machen meine Mitmenschen glücklich. Aber Hausaufgabe ist Hausaufgabe. Also lege ich los. Und kann plötzlich gar nicht mehr aufhören zu schreiben.
P.S. Einen schönen Gruß an meine treuen Fans, die mich seit Erscheinen dieser Kolumne so ausdauernd, verlässlich und liebevoll anfeuern – zu dieser Kolumne werde ich nicht „Nein“ sagen. DANKE für die Fanpost.
Run happy and smile!
Euer Querläufer

Jochen Brosig
Röttenbach, den 24. Juli 2011
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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