Marathon neu entdeckt
Alles wie immer!
Steil, rutschig, Gegenverkehr -
Schwierigkeiten³
zurück zum Start
Zieleinlauf! Ich revanchiere mich für Erwins
(2) tolles Photo von uns!
Leider verliert der
Obermain-Marathon nach dem "Gipfelsturm" doch etwas an Reiz. Irgendwann geht
die Strecke in Asphalt über. Es gibt kaum mehr Schatten, was heute nicht
ganz so viel ausmacht. Zudem wird die Strecke erst jetzt wirklich schwierig.
Denn wer geglaubt hat, mit dem höchsten Punkt vom 539 m auf dem Staffelberg
die Schwierigkeiten überwunden zu haben, muss nun feststellen, dass ständige
leichte Anstiege mächtig an den Kräften zehren.
Blütenpracht am Streckenrand; Ein ständiges
Auf und ab auf unspektakulärer Strecke fordert die Moral.
Doch für mich beginnt jetzt die
schönste Zeit des Laufs. Im Gleichschritt schweben wir über die Wege, stören
uns nicht am Kräfte zehrenden Parcours und erzählen. Fast vergesse ich, dass
Anton blind und wir übe ein Band verbunden sind. Das hängt die meiste Zeit
lose zwischen uns, wir haben unseren gemeinsamen Rhythmus gefunden.
Das Band lose zwischen uns laufen wir
harmonisch gemeinsam dem Ziel entgegen.
Tempo
Bei km 28 habe ich kurz die Zeit
geprüft. Wenn wir nicht einbrechen, sind wir genau im Korridor. Wobei die
Zeit für uns keine Rolle spielt. Vielmehr erzählen und berichten wir uns,
Anton von seiner wunderschönen Wanderung auf dem
Harzer Hexenstieg, ich revanchiere mich
dafür mit einem Bericht von der
Brocken-Challenge.
Nur ab und an treffen wir in den Dörfern auf
Zuschauer.
Anton erzählt so plastisch von
seinen Erlebnissen, dass ich mittlerweile wirklich vergessen habe, dass er
ja eigentlich blind ist.
Eine Blindheit geht immer
auch mit dem Verlust eines ausreichenden Orientierungsvermögens einher.
(...) Häufig führen mangelnde Berufschancen, geringe Sozialkontakte und
Probleme bei der gesellschaftlichen und beruflichen Integration zu sozialem
Rückzug. (Wikipedia).
Das habe ich gelesen. Für mich
heute kaum nachzuvollziehen, wenn ich meinem aktiven Laufpartner so lausche.
Am meisten bringt mich eine Geschichte zum Schmunzeln. Anton fährt natürlich
auch Rad, im Tandemverein. Vor kurzem hätte ein Guide für eine Tour noch
einen blinden Partner gesucht... naja, da hätte er sich eben gemeldet, damit
der Guide auch mit zur Radtour gekonnt hätte. Paradox.
Über Anton
Was gibt es sonst noch über Dich zu berichten?
Ich bin verheiratet, habe 2 Kinder, spiele nebenbei noch ein
bisschen Torball (das ist ein Ballspiel für Blinde), fahre auch
hin und wieder gerne Tandem oder gehe auch gerne einfach mal nur
wandern.
Beim Laufen
kommt es mir nicht auf neue Bestzeiten an. Mir gefällt einfach
die Bewegung an der frischen Luft und die Atmosphäre bei einem
Wettkampf.
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Blick hoch zum Staffelberg, den wir gerade
fast umrunden.
Gut 160.000 blinde Menschen gibt es
heute in Deutschland. 2 von 10.000 Kindern kommen blind zur Welt, doch rund
die Hälfte aller Erblindungen trifft Menschen jenseits der 80.
Diese Verpflegungsstelle lassen wir aus.
Die
Flüssigkeitsaufnahme an den Verpflegungsstellen ist nicht ganz einfach.
Meist nehme ich den Becher für Anton entgegen und gebe ihn weiter. Ab und an
drehen sich dann die Helfer schon den nächsten Läufern zu und ich muss um
meinen Becher häufig bitten. Wir trinken dann im Gehen und wenn Beide fertig
sind, dann geht es wieder in den Laufschritt.
"Unendliche" Weite, nicht gut nach der
abwechslungsreichen ersten Hälfte.
Nur das Team der Geburtstagsgratulanten sorgt für Abwechslung: "Happy
Birthday, unserem Hengst. Lauf Galopp, Hopp, Hopp, Hopp" steht auf dem
riesigen Plakat.
"Sei froh, dass Du das nicht sehen kannst!" sage ich zu
Anton. Wir erreichen Bad Staffelstein. Doch entlang der Bahnlinie müssen wir
erst mal wie in einem Korridor eine halbe Ewigkeit gerade aus. Statt zuletzt
2 oder 3 Läufer habe ich plötzlich 10 im Blick, so weit kann ich sehen.
Wir nähern uns wieder Staffelstein.
Aber auch die Strecke ist bald überwunden. Es wird
wieder abwechslungsreicher. Auf verschlungenen Pfaden erkunden wir das
Gelände um den Kurpark. Plötzlich steht hier eine Kilometermarkierung nach
der Anderen. Was vorher manche Kilometer gedehnt waren, sind sie hier eher
komprimiert.
Im Kurpark
Kilometer über 4 Minuten sind "leere" Kilometer,
sinnierte Dieter Bauemann vor Kurzem in seinem Blog. Für uns fängt der
Kilometerzähler also jetzt erst zu ticken an, auch gut. Und egal, denn der
verwinkelte Kurs fordert wieder unsere ganze Aufmerksamkeit. "Slalom" laufen
ist angesagt. "Links... jetzt 90 Grad rechts... Vorsicht ein Bordstein...
Jetzt!... und sofort links..." dirigiere ich. Puuuh, das war eng und nicht
ganz einfach! Ein kleiner Strauchler und wir können rechts abknicken ins
Stadion.
Im Stadion!
"Jetzt geht es genau!!! 100 m schnurgerade, danach
genau!!! 100 Meter in einer lang gezogenen Linkskurve!" Die Streckenangaben
im Stadion sind einfach... Freude steigt in mir hoch, ich genieße die letzen
Meter ins Ziel. Wir habens geschafft. Unsere Zeit... ach egal, interessiert
uns nicht, werden wir aber häufiger gefragt. Wichtig war uns der Genuss. Und
den hatten wir zu Genüge.
Und ich habe mich auch vorbei geschmuggelt! Woran? Ganz
einfach. An der gelben Wertstofftonne mit den schwarzen Punkten. Da werden
Blindenlaufguides kurz vor dem Ziel meistens entsorgt. Doch ich durfte dran
vorbei! Danke Anton... nicht nur dafür!
Wir sind schon geduscht, als Erwin ins Ziel
kommt.
Genüsslich trinken wir unser "Sponsoren"-Bier, lehnen an
der Stadionumrandung, plaudern mit Bekannten und lassen die Seele baumeln.
Erst jetzt merke ich: "Ich kann wieder Marathon!" Über ein halbes Jahr habe
ich pausiert, eine lange Zeit. Und sofort sprudeln neue Ideen: "Ob er mal
Lust auf den
Jungfrau-Marathon hätte!" frage ich. "Ja,
den K78 in
Davos würde er auch gerne mal laufen." Während der Heimfahrt gehe
ich im Geiste schon die Strecken durch, überprüfe sie auf mögliche
Unmöglichkeiten. "Du schaffst das!" erkläre ich: "Melde dich einfach, wenn
Du Interesse hast!"
Im Stillen wünsche ich mir, dass es nicht unser einziger
gemeinsamer Ausflug bleiben muss. Anton die Schönheit der Alpen zu zeigen,
ja, das wäre schon was.
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