Swiss Alpine Marathon 2010
Das Unglück nimmt seinen Lauf!
Bergün
zurück zum Start
Ein Unglück kommt
selten allein

Nur mit allergrößter Überwindung erreiche
ich die Keschhütte.
Zunehmende Qualen
In den ersten steileren Passagen vor Chants spüre ich jetzt deutlich.
Irgendetwas stimmt nicht. Ich habe keine Kraft, muss mehr gehen als üblich.
Mir ist heiß und mein Bauch fühlt sich überhaupt nicht gut an. Vielleicht
habe ich zu wenig getrunken, denke ich mir und greife ordentlich zu.

Chants

Gleich wird es mächtig steil.

Kunst im Bergdorf

Letzte Verpflegung vor dem Steilhang.
Ich erreiche den Steilhang. Ab hier
ist Gehen erlaubt. Ich freue mich, gehe die ersten Schritte los und spüre,
mir fehlt die Kraft für einen ordentlichen Abdruck. Saft- und kraftlos
klettere ich den schmalen Pfad hinauf.

Jetzt wird es steil. Hier läuft in "meiner
Preisklasse" niemand mehr.

Jetzt gilts: Aufstieg nach Bergün

Jetzt sind alpine Fähigkeiten gefragt.
Läufer für Läufer zieht an mir
vorüber. Zum einen sind es die ganzen schnellen Starter des K42, doch ich
erkenne auch Läufer, die ich noch unten im Tal überholt habe. Dankbar nutze
ich jede Gelegenheit für ein Photo, komme nach jedem Stopp aber zunehmend
schwerer wieder in Gang.

Hier ist es extrem steil.

Da ist Leidensfähigkeit gefragt. Doch ich leide über alle Maßen.
Unbeschreiblich. Ich habe das
Gefühl zu taumeln, tue mich schwer, einen geraden Schritt vor den anderen zu
setzen. So etwas kenne ich gar nicht. Ich bin sonst zwar sicher nicht der
allerschnellste beim Klettern, doch abhängen lassen musste ich mich hier
bislang nie.
Nix geht mehr:

Ich mache viele Bilder, wirklich darauf
konzentrieren kann ich mich jedoch nicht.

Läuferbandwurm hoch zur Keschhütte.

Gerne würde ich jetzt in den Helikopter steigen. Nur nicht mehr Laufen
müssen!
Die Verpflegungsstelle bei Km 50
ist erreicht. Ich überlege, ob ich zum Wasser oder zum Tee greifen soll.
Mein Bauch sagt mir allerdings: Nimm gar nix. Ich fühle mich voll, habe
weder Hunger noch Durst, will mich nur noch setzen. Schlagartig wird mir
klar, was Sache ist:
Der Tee ist
schuld!
Ich habe den Iso-Tee nicht
vertragen. Normalerweise begnüge ich mich ja mit Wasser, doch unterhalb
Bergün griff ich ausnahmsweise - wegen des Geschmacks im Mund - zum Tee. In
Bergün an der Versorgungsstelle hörte ich dann jemanden "Iso-Tee!" rufen.
Und isotonische Getränke vertrage ich nicht.

Bei km 50 geht gar nichts mehr.
Ich spüre, mein Magen ist dicht und
muss mich setzen. Dann beginnt das Warten:
Einmal...
zweimal... dreimal!
Dreimal stülpt sich mein Magen um,
ehe ich mich aller üblen Getränke entledigt habe. Mit der Flüssigkeit, die
sich aus meinem Mund ins Gras ergießt, schwindet auch mein letztes Quantum
Energie im Körper. Doch ich spüre meinen leeren Magen, das ist gut. Nun
stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?
Soll ich weiter nach oben?

Ich entscheide, erst mal bis zur
Keschhütte durchzuhalten. Langsam stelle ich mich auf die Füße, versuche
taumelnd den ersten Schritt, setze den zweiten hinterher. Ich reihe mich in
die Läuferschlange, versuche Tempo aufzunehmen.

5 Meter vor der Keschhütte muss ich mich
noch einmal hinsetzen.
5 Mal muss ich stehen
bleiben, mich hinsetzen, bis ich oben an der Keschhütte bin. Das letzte Mal
sitze ich 5 Meter unterhalb der Hütte. Ich hätte die letzten Meter nicht
mehr gepackt. Hier saß ich schon häufiger, immer allerdings nach meiner
Staffelübergabe beim Teamwettbewerb.

Ich muss eine Entscheidung treffen.
Ich überlege, was ich
tun kann. Was mir in der Regel gut hilft, ist Cola. Doch die gibt es bei der
Verpflegung erst später. Also muss ich Cola organisieren. Ich mache mich
auf, setze ein (gequältes) Lächeln auf, schleiche mich am Doc vorbei, gehe
zur Getränkeausgabe der Hütte und bitte um eine Cola, die ich nicht bezahlen
könne.
Ich muss wohl wirklich
schlecht aussehen, denn die junge Dame blickt mich mitleidsvoll an und
lächelt:
"Das ist
dann wohl Medizin!"
Sagt sie und schiebt
mir ein volles Glas Cola über den Tresen. Ich könnte sie umarmen und küssen,
wäre ich zu solchen Energieleistungen jetzt fähig. Ich nehme mir eine
weitere Viertelstunde, trinke langsam mein Cola. Wie gut, dass ich meine
Jacke mithabe. Ich friere und zittere wie ein Schneider.

Ein Glas Cola bringt mir rettende Energie
zurück.
Doch ich bin noch
nicht zurück in Davos. Ob ich es bis dahin schaffen kann? Und vor allem:
Macht das Sinn?
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